
Pilgerinnen der Hoffnung (7): Geschwisterlichkeit
Die Reihe „Pilgerinnen der Hoffnung“ ist ein monatlich erscheinender geistlicher Beitrag zum Heiligen Jahr – eine Kooperation des internationalen Generalats der Mauritzer Franziskanerinnen und der Kirchenzeitung „Kirche und Leben“. Unser Thema im Juli: Geschwisterlichkeit.
Dieser Artikel wurde im Juli 2025 in „Kirche+Leben“ veröffentlicht.
25.07.2025. Im Jahr 2018 erregte eine Schlagzeile aus Großbritannien große Aufmerksamkeit: Im Vereinigten Königreich wurde das weltweit erste „Ministerium gegen Einsamkeit“ eingerichtet. Zwei Jahre später folgte Japan diesem Beispiel. Eine internationale Studie, die über 140 Staaten untersuchte, stellte im Oktober 2023 fest, dass weltweit fast jeder vierte Mensch unter Einsamkeit leidet. Fast zeitgleich erarbeitete unsere Bundesregierung eine „Strategie gegen Einsamkeit“ und legte kürzlich das neuste „Einsamkeitsbarometer“ vor, in der jedes Jahr das Einsamkeitserleben der deutschen Bevölkerung analysiert wird. Tendenz steigend.
Alle sind sich einig: Einsamkeit ist ein großes Problem unserer Zeit. Denn Einsamkeit belastet nicht nur die Seele, sondern auch den Köper: Ihre toxische Wirkung soll einer täglichen Packung Zigaretten entsprechen. Die Studien verweisen sogar auf eine Gefahr für die Demokratie, denn Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung zeigen deutlich weniger Vertrauen in politische Institutionen und einen stärkeren Hang zum Extremismus.
Besonders betroffen von Einsamkeit sind seit jeher Menschen, die Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren. Zu Lebzeiten des hl. Franziskus von Assisi waren es die Aussätzigen, die vor die Tore der Stadt verbannt und ihrem Schicksal überlassen wurden. Die Chroniken berichten, dass die persönliche Begegnung mit einem Aussätzigen Franziskus‘ Leben veränderte: Der reiche, verwöhnte junge Mann stieg von seinem Pferd und umarmte den Kranken, in dem er seinen Bruder, in dem er Jesus erkannte. Später widmeten Franziskus und seine Gefährten ihr Leben ebendiesen Kranken und Ausgegrenzten und bezogen die gesamte Schöpfung in ihre geschwisterliche Fürsorge ein. Davon zeugt auch der „Sonnengesang“, den Franziskus vor 800 Jahren schrieb. Er bezeichnet darin alle Mitgeschöpfe sowie Sonne, Mond und die Elemente als seine Geschwister.
Inspiriert vom Beispiel des hl. Franziskus haben wir Mauritzer Franziskanerinnen seit der Gründung unserer Gemeinschaft immer wieder versucht, diese Geschwisterlichkeit im Dienst an Gott und den Menschen zu leben. Anfang der 1990er Jahre führte diese Haltung Schwester M. Juvenalis Lammers und mich nach Berlin. Es war die Zeit, als das HI-Virus (HIV) Angst und Schrecken verbreitete und eine Infektion einem Todesurteil gleichkam. In der Hauptstadt lebten und starben besonders viele Infizierte, einsam und ausgegrenzt wie „neue Aussätzige“, verstoßen von der Gesellschaft, von der Kirche, einige selbst von ihren Familien.

Im November 1992 zogen wir nach Genehmigung durch unsere Münsteraner Ordensleitung nach Berlin-Pankow. Als ausgebildete Krankenschwestern arbeiteten wir vier Jahre lang in Kliniken und in der ambulanten Pflege, um Erfahrung in der Behandlung von an AIDS Erkrankten zu sammeln. Schnell wurde klar, dass es eine Versorgungslücke speziell bei der Begleitung sterbender AIDS-Kranker gab. Um diese Lücke zu schließen, gründeten wir 1997 mit Gleichgesinnten den ambulanten „Hospizdienst Tauwerk e.V.“.

Seither haben wir gemeinsam mit entsprechend geschulten Ehrenamtlichen, zu denen seit 2009 auch Schwester M. Margret Steggemann gehört, mehr als 500 an AIDS Erkrankte begleitet, um ihnen statt Einsamkeit und Ausgrenzung die Lebenserfahrung von Annahme, Interesse, Dialog und Solidarität zu vermitteln. Wir freuen uns, dieses Engagement für Menschen mit AIDS seit diesem Jahr unter dem Dach des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin weiterführen zu können.

Franziskus brauchte keine internationalen Studien, um zu wissen: Die beste Medizin gegen Einsamkeit ist Beziehung, ist sozialer Kontakt. Auch wir haben in der Begleitung der Sterbenden immer wieder gespürt, wieviel Trost darin liegt, wenn einfach jemand da ist – wenn statt der Ausgrenzung eine heilende Verbundenheit spürbar wird, weil wir uns als Menschen, als Geschwister begegnen. Und zwar nicht nur in Krankheit und Tod, sondern auch mitten im Leben; nicht nur in Assisi und Berlin, sondern überall. Denn wenn statistisch gesehen jeder vierte Mensch einsam ist, gibt es ganz praktisch gesehen für jede und jeden von uns genug zu tun, wo auch immer wir sind.
Von Schwester M. Hannelore Huesmann und Claudia Berghorn
Fotos: privat
Weitere Informationen und Impressionen vom Hospizdienst Tauwerk sind im folgenden Film zu finden, der im Jahr 2022 in Zusammenarbeit mit der St. Franziskus-Stiftung und der Deutschen Provinz unserer Gemeinschaft entstand.